Besuch in Suhl – Breaking the isolation

Im Mai waren wir an zwei Samstagen als Lager-Watch vor dem Erstaufnahmelager in Suhl zu Besuch, um mit den Bewohner:innen ins Gespräch zu kommen. Wir lernten viele starke und mutige Menschen kennen, die uns schnell ihr Vertrauen schenkten. Wir haben gemeinsam Tee getrunken, zugehört, erzählt und gespielt. Wir sind berührt von den Begegnungen und danken allen, die auf uns zu gekommen sind und ihre Geschichten teilten. Wir sehen uns hoffentlich wieder!

Ausgangslage

Über die aktuelle Situation im Erstaufnahmelager hatten wir vor unserem Besuch nur wenig konkrete Vorstellungen. Die Situation im Lager ist sehr unübersichtlich und bleibt allzu oft eine Black-Box
Öffentlich wird das Erstaufnahmelager Suhl und seine Bewohner:innen in Presse und Politik in den letzten Monaten mal wieder verstärkt als “Gefahrenpunkt” dargestellt: In Zeitungsartikeln wird von “Ausschreitungen” und Kriminalität gesprochen, Polizeiberichte mit teilweise Falschdarstellungen zitiert. Der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Suhl André Knapp macht Stimmung gegen die Bewohnenden des Erstaufnahmelagers und unterstützt eine Petition zur Schließung, die auf rassistischer Hetze und Vorurteilen gegen Schutzsuchende basiert. Gegenteilige Stimmen und Positionen, welche auf die Lebensrealität der Menschen im Lager und ihre Bedarfe eingehen, verbreiten sich dagegen kaum. Die Stimmung in Suhl wirkt in der öffentlichen Debatte zunehmend aufgeheizt. Die wirklichen Leidtragenden sind die Menschen, welche im Lager festsitzen und ungehört bleiben. 
Am 15. und am 29. Mai machten wir uns daher auf den Weg zum Erstaufnahmelager in Suhl. Das Ziel war es, vor dem Lager eine Anlaufstelle für die Bewohner:innen zu sein und direkt von ihnen von ihrer Situation zu hören.

Erster Eindruck

Viele von uns kannten das Erstaufnahmelager Suhl bislang nur von Bildern. Tatsächlich vor Ort zu sein, war sehr eindrücklich. Das Lager liegt auf dem Friedberg in Suhl, weit entfernt vom Zentrum der Stadt. Das Gebiet mit den menschenleeren Straßen und einigen großen grauen Gebäuden wirkt trostlos. Die regelmäßigen Schüsse, die von dem Sportschießplatz durch die Gegend schallen, sind nicht zu überhören, verbreiten eine bedrohliche Stimmung und erinnern viele Menschen mit Kriegserfahrungen an traumatische Erlebnisse. Später am Tag erzählte uns ein Familienvater, das wäre für ihn bereits Normalität. Das sei in Afghanistan auch schon so gewesen. Das Erstaufnahmelager ist umzäunt und der Zaun ist mit dunkelgrüner Folie verkleidet. Die Stimmen spielender Kinder ließen uns wissen, dass hinter dem Zaun Menschen leben. Im Schaukasten am Eingang hingen vereinzelte BAMF-Bescheide mit Klarnamen und zugänglich für alle Passant:innen, als würde man die Namen der Menschen öffentlich ausrufen.

Die Situation in Suhl

Wir hatten viele Gespräche mit unterschiedlichen Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern. Aus diesen Gesprächen haben wir die folgenden Informationen zusammen getragen und versuchen die Situation damit zu fassen:
Ein zentrales Gesprächsthema war etwa das Thema Gesundheit. Viele Bewohner:innen haben erzählt, dass wenn sie mit gesundheitlichen Beschwerden zu den Arzt:innen des Lagers gehen, sie damit vertröstet würden. Sie würden die richtigen Medikamente bekommen bzw. zu den richtigen Ärzt:innen überwiesen werden, sobald der Transfer von Suhl in eine andere Stadt stattfindet. Dabei ist nicht klar, wann die Menschen genau das Lager verlassen können. Viele Menschen bleiben dort 2-3 Monate wohnen; ein Mensch erzählte uns, er lebe bereits seit 9 Monaten in dem Lager in Suhl. Während all dieser Zeit werden Menschen so teilweise nicht ausreichend medizinisch versorgt und auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet. Gleichzeitig versuchen unabhängige Akteuer:innen wie das MediNetz seit Monaten erfolglos eine feste Beratungszeit in der Erstaufnahme Suhl zu erhaltenEin kleines Mädchen erzählte, dass es seit 5 Tagen schlimme Bauchschmerzen habe, so schlimm, dass sie in der Nacht nicht schlafen konnte. Der Arzt im Lager sagte ihr nur, sie solle besseres Essen essen.
Mit dem Essen waren viele Personen sehr unzufrieden. Das Essen sei sehr eintönig und auch zu scharf. Kinder bis 2 Jahre bekommen anderes Essen, aber ab drei Jahren müssen die Kinder das gleiche essen wie die Erwachsenen. Ein Mann versuchte vergeblich, wegen einer starken Allergie auf Paprika anderes Essen zu bekommen. Zum Abendessen gibt es oft nur 2 Scheiben ungetoastetes Toastbrot mit etwas Belag (siehe Foto). Wenn man bedenkt, dass die Menschen nach einer monate- oder jahrelangen Flucht hier ankommen und sich erholen wollen, ist das besonders unverständlich. Viele Bewohner:innen geben das wenige Geld, das sie bekommen, allein für besseres Essen aus, weil das vom Lager verteilte Essen so schlecht ist. 
Wie in so vielen Bereichen haben sich auch in Suhl durch Corona neue Probleme aufgetan. Impfungen laufen in der Unterkunft schleppend und mit wenig Impfaufklärung. Eine Familie berichtet, dass sie zwar gefragt wurden, ob sie sich gegen Corona impfen lassen wollen, neben der bloßen Fragestellung aber keine weiteren aufklärenden Informationen oder Gespräche bekommen haben. Auch ein Auswahl-Angebot des Impfstoffes oder die Information, um welchen Impfstoff es geht, hätte es nicht gegeben. Sie hätten sich dann selbst übers Internet informiert und ihre Impfbereitschaft mündlich erklärt. Einen Termin oder weitere Informationen bekamen sie bisher nicht.
Für die Corona-Quarantäne ist in der Unterkunft ein eigener Block eingerichtet. In Einzelfällen haben Menschen hier bis zu vier Wochen verbracht. Eine Mutter (seit Anfang Mai in Suhl) berichtete über zweiwöchige Quarantäne. Im Quarantäneblock gab es häufiger Probleme mit anderen Bewohner:innen. Als Familie seien sie nach der Problematisierung der Zustände schneller im Familienblock untergebracht worden.
Außer dem Quarantäneblock gibt es im Suhler Lager noch zwei weitere Blöcke: Einen Block für alleinreisende Männer und einen Familienblock. Die Bewohnenden haben generell wenig Platz und Privatsphäre. Im Familienblock erhält jede Familie ein Zimmer, unabhängig von der Größe der Familie. So berichtete eine 8-köpfige Familie sie wären in nur einem Zimmer untergebracht. Dass dies nicht ausreichend Privat- und Wohnraum ist, liegt auf der Hand.
Positiv ist, dass die Situation mit der Security und anderen Mitarbeiter:innen des Lagers sich nach einigen Petitionen von Bewohner:innen und öffentlichem Druck anscheinend tatsächlich in weiten Teilen verbessert haben soll. Es gab keine neuerlichen Berichte von unbefugtem Betreten oder Durchsuchen der Zimmer. Mitarbeiter:innen klopfen an, bevor sie hereinkommen. Das sei sowohl im Familien- als auch im Quarantäneblock der Fall gewesen.
Immer wieder wird in den Gesprächen mit den Bewohnenden deutlich, dass die Beratungsangebote für grundlegende Fragen anscheinend nicht ausreichen, die Antworten oder das Vertrauen fehlen. Es gibt viele Unsicherheiten und Sorgen bezüglich des Asylverfahrens und des weiteren Verbleibs in Suhl. (Wie lange ist man in Suhl? Wie läuft eine Anhörung ab? Wie funktioniert das Dublin-Verfahren? Was ist, wenn ich einen negativen Bescheid bekomme? An wen kann ich mich wenden?) Die allermeisten wollen hier weg. Einige beschreiben ihre Situation im Lager und insbesondere im Quarantäneblock als Knast.
Wir haben natürlich nicht mit allen Menschen im Lager gesprochen und aus den Gesprächen nur erste Einblicke bekommen. Das Bild kann und sollte von weiteren Berichten vervollständigt werden! Zusätzlich verändert sich die Situation natürlich auch von Zeit zu Zeit. Wir bleiben dran!
Du warst vor einiger Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl? Du bist aktuell dort? Du möchtest uns etwas darüber berichten? Dann melde dich gerne per WhatsApp, Signal oder Telegram unter +49 15171394097 oder per Mail an lagerwatch_thr@riseup.net