In den letzten Tagen erreichten das MediNetz Jena e.V. Nachrichten über
die erneuten Notstände im Erstaufnahmelager Suhl. In Bezug auf die vorangegangene Pressemitteilung des Flüchtlingsrates Thüringen e.V. vom 01.10.2020 veröffentlicht das MediNetz eine eigene Pressemitteilung und Stellungnahme zur medizinischen Versorgung im Erstaufnahmelager Suhl.
PRESSEMITTEILUNG des MediNetz Jena e.V. vom 07.10.2020
Vermehrt kommt es in der Unterbringung zu nicht korrekten bis hin zu
mangelhaften medizinischen Versorgungen der Bewohner:innen mit teilweise
fatalen Folgen für deren körperliche und seelische Gesundheit.
Beispielsweise wurden einfach objektivierbare Symptome von dort Lebenden
nicht als solche anerkannt und nicht untersucht, sondern als Täuschung
gewertet, welche nur das Ziel verfolge, schneller das Lager verlassen zu
können. Diese Denkweise, welche in einem medizinischen Handlungskontext
die Neutralität bezüglich politischer Meinungen nicht einhält, ist zum
einen zutiefst rassistisch und stellt dazukommend eine Unterlassung
ärztlicher Hilfeleistung dar. In mindestens einem Fall führte diese
unterlassene ärztliche Hilfeleistung zum Tod.
– Zu unterlassener Hilfeleistung zählt, wenn Hilfesuchende nicht
angesehen und beschriebene Symptome nicht objektiviert werden z.B. durch
eine körperliche Untersuchung oder Messung der Vitalparameter
– Zu unterlassener Hilfeleistung zählt, wenn den Patient:innen
Untersuchungsergebnisse vorenthalten werden.
– Zu unterlassener Hilfeleistung zählt, wenn sich trotz klinisch
eindeutiger gefährdender Zeichen sich nicht um eine Anschlussbehandlung,
Überweisung oder adäquate Sprachmittlung gekümmert wird.
Das eben beschriebene entspricht direkten Schilderungen von Menschen,
die in Suhl untergebracht und auf medizinische Hilfe vor Ort angewiesen
sind. Zusammenfassend ist kein Wille durch das dort agierende
medizinische Personal zu erkennen, die Menschen medizinisch adäquat zu
behandeln. Dies ist fahrlässig, verantwortungslos und falsch.
Medizinische Gesundheitsversorgung stellt nicht nur ein Grundbedürfnis
eines jeden Menschen dar, sondern auch ein Grundrecht. Dies ist im
Artikel 25 der Charta der allgemeinen Menschenrechte niedergeschrieben.
Die eben beschriebenen Geschehnisse zeigen die eindeutige Verletzung
dieses Rechtes durch die BRD und den Freistaat Thüringen, vermittelt
durch das medizinische Personal der EAE Suhl.
Die Menschen in den Sammelunterkünften sind nicht krankenversichert.
Somit werden nur akute Erkrankungen und Notfälle vom Sozialamt
finanziert. Der Leistungskatalog ist im Asylbewerberleistungsgesetz
(AsylbLG) festgelegt, jedoch werden zum Beispiel psychische Erkrankungen
oder akute psychische Traumata als nicht akut behandlungsbedürftig
definiert. Dies ist nicht nur empathielos, sondern auch medizinisch
falsch. Die oben beschriebenen Situationen lassen nur vermuten, welchen
Leidensdruck Asylbewerber:innen haben und wie diese durch das staatliche
Handeln – in diesem Falle Nicht-Handeln bzw. Unterlassen – potenziert
werden. Indem das Sicherheitspersonal, wie in der Stellungnahme des
Flüchtlingsrates Thüringen e.V. beschrieben, sowohl körperliche als auch
psychische Gewalt gegenüber den Bewohner:innen anwendet, wird die
sowieso schon durch strutkurellen Rassismus bestehende medizinische
Unterversorgung noch bewusst potentiert und weitere Gefährdungen
verursacht. Dadurch können Retraumatisierungen oder neu verursachte
Traumata mit erheblichen langfristigen Folgen auftreten. Im schlimmsten
Fall kann dies zu selbstverletzendem Handeln führen. Auch psychische
Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht!
Die aktuell herrschenden Zustände sind unzumutbar. Wir fordern aus
aktuellen Anlässen
1. kompetentes medizinisches (pflegerisches und ärztliches) Personal vor
Ort, sowie neutrale Sozialarbeiter:innen
2. eine auch in Notfällen erreichbare Sprachmittlung
3. unvoreingenommenes, auf rechtsradikale Absichten und Rassismus
überprüftes Sicherheitspersonal
Unsere Forderungen – die Umsetzung der Menschenrechte – sollten eine
Selbstverständlichkeit darstellen! Die Tatsache, dass eine Einhaltung
medizinischer Mindeststandards nicht gegeben ist, ist zutiefst beschämend.
Beispiele für gelungene Umsetzungen gibt es genug. Am Jenaer Uniklinikum
können über das Internet Dolmetscher angefordert werden, die durch
Telematik innerhalb weniger Minuten verfügbar sind. Im gesamten Land
Thüringen können nicht krankenversicherte Personen medizinische
Versorgung durch eine Finanzierungsgarantie beim “Anonymen Krankenschein
Thüringen” (AKSt) beantragen und somit je nach medizinischem
Handlungsbedarf einen Arzt aufsuchen. Es stellt sich die Frage, warum
der AKST nicht mit der Versorgung der Erstaufnahmeeinrichtung beauftragt
und mit entsprechenden Mitteln ausgestattet wird. Erfahrungen in der
Versorgung Nichtversicherter liegen seit 2017 vor.
*Wir appellieren an die Politik und fordern sofortiges Handeln!*