Briefe & Berichte aus dem Erstaufnahmelager in Suhl VI

Seit knapp sechseinhalb Monaten lebt eine junge afghanische Familie im Lager in Suhl. Die Mutter der Familie mit Kind sitzt nach einem schweren Unfall im Rollstuhl. Aufgrund der schwierigen Lebensumstände in Griechenland und den durch ärztliche und therapeutische Schreiben im Auftrag des UNHCR beschriebenen besonderen medizinischen und psychosozialen Bedarfen ist die Familie Ende 2021 nach Deutschland weitergeflüchtet und sitzt seither im Lager in Suhl fest. Der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. veröffentlichte am 5. Mai eine Pressemitteilung zum Fall. Seither hat sich trotz Versprechungen noch immer nichts bewegt und die Familie sitzt weiterhin ohne fachmedizinische Behandlung und mit allen Einschränkungen ihrer Lebensumstände unter den Bedingungen einer von Anfang bis Ende strukturell erniedrigenden und menschenunwürdigen Behandlung im Lager fest. Wir trafen die Familie bei unseren vergangenen Swarming-Besuch und twitterten bereits kurz auch zu ihrem Fall.

Laut EU-Aufnahmerichtlinie Artikel 21 & 22 hätten die besonderen Bedarfe der Mutter und der Familie rechtzeitig identifiziert und berücksichtigt werden müssen. Ihre Bedarfe wurden massiv missachtet, wie ein Brief und die Schilderungen der Familie eindrücklich beschreiben. Laut § 47 AsylG (Aufenthalt in Aufnahmeeinrichtungen) dürfen Familien mit minderjährigen Kindern nicht länger als 6 Monate dazu verpflichtet werden, in der Erstaufnahmeeinrichtung zu leben.

Das Land Thüringen und untergeordnete Verantwortungsträger:innen befinden sich im konkreten exemplarischen Fall – wie in weiteren Fällen aktuell und zuvor – nach Einschätzungen von Lager-Watch Thüringen und Expert:innen im permanenten Rechtsbruch mit geltendem Recht. Ihre Lebensumstände beschreibt die Familie in einem Brief vom 9. Mai selbst. Der Brief liegt Lager-Watch Thüringen im Original auf Farsi vor.

Wir haben den Brief des Familienvaters und der Familie übersetzt, anonoymisiert und angepasst:

Brief der Familie vom 9. Mai 2022 mit Nachtrag vom 10. Mai 2022

Ich bin N. aus Afghanistan und lebe seit mehr als sechs Monaten mit meiner Frau und meinem Sohn im Lager in Suhl. Meine Frau sitzt im Rollstuhl und hat viele körperliche und psychische Probleme, die regelmäßig von Fachärzten überwacht werden sollten. Im Lager Suhl sind die medizinischen Einrichtungen sehr begrenzt und der Zustand meiner Frau verschlechtert sich von Tag zu Tag. Nach dem Gesetz, von dem die Sozialbetreuung des Lagers spricht, müssen wir an eine feste Adresse ziehen und uns in der Stadt anmelden, damit wir krankenversichert sind und einen Spezialisten aufsuchen können, aber dieser Prozess dauert dann noch Monate, sagen sie, und die Situation meiner Frau und meiner Familie wird von Tag zu Tag schlechter.

Heute warten wir seit sechs Monaten und zehn Tagen wegen des körperlichen und seelischen Zustands meiner Frau darauf, aus dem Lager Suhl verlegt zu werden, um ein neues Zuhause zu finden! Wie kommt es, dass sie nur für uns kein Zuhause finden?! Was ist der Unterschied zwischen uns und ukrainischen Familien?

Im Lager Suhl ist die Situation der Geflüchteten sehr bedauerlich. Das Verhalten einiger Sicherheitskräfte und des Personals des Lagers ist erniedrigend und der Umgang ist sehr schlecht. Es gibt keine Privatsphäre im Lager. Die Essensausgabe und das Essenssystem des Lagers sind sehr erniedrigend. Es wird abschätzig verteilt. Das Abendbrot besteht aus drei kleinen Toasts und Butter, was überhaupt nicht zufriedenstellend ist. Es gibt keine Geschäfte rund um das Lager Suhl und um Brot und Grundbedarfsartikel zu kaufen, muss man mit dem Bus ins Stadtzentrum von Suhl fahren.

Niemand kann diese Situation tolerieren, geschweige denn eine körperbehinderte Person im Rollstuhl, die länger als sechs Monate in diesem Zustand gehalten wird!

Die täglichen Probleme meiner Frau in diesem Lager sind vielfältig. Sie ist vollständig eingeschränkt und braucht sogar Hilfe beim Sitzen und beim Gang zur Toilette. Zum Urinieren muss sie sich hinlegen aber es gibt keine geeigneten Einrichtungen für Menschen mit Einschränkungen in den Toiletten und Bädern des Lagers. Wir bekamen einen Eimer und eine Plastiktüte zum Urinieren. Wir baten die Sozialbetreuung wiederholt, uns Windeln für Erwachsene zu geben, aber sie sagten nein. Wir bitten um Windeln und Feuchttücher für meinen kleinen Jungen und sie sagen: Ihr Kind ist groß und alt genug!

Die Essensausgabe erlaubt mir nicht, das Essen meiner Frau auf ihr Zimmer zu bringen. Sie sagen: sie muss kommen und im Essenssaal essen. Wir dürfen kein Essen mit auf das Zimmer nehmen und wir dürfen auch nichts im Zimmer kochen.

Nach vielen Nachfragen gaben sie bekannt, dass sie eine Wohnung für uns in der Stadt Suhl suchen würden, obwohl die Stadt Suhl für meine Familie nicht über angemessene medizinische Einrichtungen verfügt. Meine Mutter, mein Bruder und meine Schwester leben in Berlin. Diese könnten meiner Frau und meinen Kindern eine große Hilfe sein. Deshalb bitte ich darum, uns nach Berlin oder zumindest in die Stadt Erfurt zu schicken, damit es für meine Familie aus Berlin leichter ist, anzureisen und sich um meine Kinder zu kümmern.

 

Briefe & Berichte aus dem Erstaufnahmelager in Suhl IV

Dort sagte mir der Arzt, ich hätte kein Problem. Ich würde die Krankheit vorspielen, damit der Transfer schneller käme. ER glaubte mir nicht. Ich war wirklich sehr krank und hatte sehr hohes Fieber. Dieses hohe Fieber hätte mein Leben beenden können. Ich kämpfte gegen die Krankheit.”

Lager-Watch Thüringen liegen weitere Briefe und Beschwerden von Bewohner*innen des Erstaufnahmelagers Suhl vor. Der folgende Brief erreichte uns bereits im vergangenen Jahr 2020. Wir haben ihn übersetzt, anonymisiert und seine Veröffentlichung abgestimmt. Der Brief beschreibt erneut die desolate medizinische Versorgung in dem Erstaufnahmelager Suhl.

“Im August 2020 bin ich im Lager Suhl krank geworden. Ich hatte starke Nierenschmerzen und Fieber. Ich habe die Nacht alles ausgehalten, weil kein Arzt da war. Morgens früh bin ich zum Lagerarzt. Er sagte, ich hätte kein großes Problem. Er verabreichte mir eine Spritze und gab mir Schlaftabletten. Ich solle auf mein Zimmer gehen und mich ausruhen und mich erholen. Auf dem Weg zu meinem Zimmer fielen meine Augen fast zu. Im Zimmer schlief ich sofort ein. Gegen Mittag, um etwa 12 oder 13 Uhr hatte ich wieder sehr starkes Fieber und Nierenschmerzen. Meine Beine waren ohne Gefühl oder taub. Mein Ehemann brachte mich wieder zum Arzt. Dort sagte mir der Arzt, ich hätte kein Problem. Ich würde die Krankheit vorspielen, damit der Transfer schneller käme. ER glaubte mir nicht. Ich war wirklich sehr krank und hatte sehr hohes Fieber. Dieses hohe Fieber hätte mein Leben beenden können. Ich kämpfte gegen die Krankheit. Das medizinische Personal des Lagers beachtet die Krankheit nicht. Sie kümmerten sich nicht. Letztendlich wurde Krankenwagen gerufen und ich wurde im Krankenhaus untersucht. Aufgrund der Nierenbeschwerden und des hohen Fiebers musste ich sieben Tage im Krankenhaus bleiben. Ich war tatsächlich krank. Der Arzt im Lager Suhl interessierte das jedoch nicht. Der Arzt kümmert sich nicht um die Migranten im Lager. Er nimmt sie nicht ernst.

“Da wird auf jedes Kinderrecht gespuckt.”

“Manche Kinder sind sieben Monate da. Die dürfen nicht zur Schule, dürfen nicht zum Kindergarten, nichts. Da wird auf jedes Kinderrecht gespuckt.”

In seinen Blogs Gefährdetes Leben und My home is not safe schreibt Nikolai Huke über den Alltag und Protest in Flüchtlingsunterkünften während der Corona-Pandemie. Er führte Interviews unter anderem mit Bewohner*innen des Erstaufnahmelagers Suhl. Albina Akhmedova (Autorin des Blogs Zeitreisende) spricht im Interview über Erfahrungen und Erlebnisse während der Corona-Pandemie in dem Erstaufnahmelager Suhl.

Interview – Albina Akhmedova über die Situation von Frauen, Kindern und Menschen mit chronischen Erkrankungen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl während der Corona-Pandemie

Nikolai Huke: Wie haben Sie Ihren ersten Tag in der Flüchtlingsunterkunft erlebt?

Albina Akhmedova: Das erste, was ich gehört habe, waren Schüsse. Neben der Flüchtlingsunterkunft befindet sich ein großer Schießplatz. Ich geriet in Panik, ich hatte vorher zwei Jahre ohne dieses Geräusch gelebt und plötzlich war es wieder da, ziemlich laut. Ich wusste gar nicht, wo ich gelandet bin. Das war eine psychische Reaktion auf das Geräusch. Du verstehst, dass es in Deutschland keinen Krieg gibt und es sollte eigentlich nicht gefährlich sein, aber allein dieses Geräusch setzt dich unter Stress. Das Geräusch war eigentlich jeden Tag da, auch mit geschlossenem Fenster. Mein erster Wunsch war: Weg hier. Ich weiß nicht, wer sich so etwas ausgedacht hat. Zur Stadt sind es zu Fuß ungefähr dreißig, vierzig Minuten. Eine Möglichkeit, den Bus oft zu benutzen, hat man eigentlich nicht so richtig, denn man bekommt nur fünfzig Euro alle zwei Wochen. Darin ist aber alles eingeschlossen, was man braucht. Wenn jemand zum Beispiel ohne Klamotten gekommen ist, muss er sich für dieses Geld Sachen kaufen. Das heißt: Die meisten laufen durch den Wald in die Stadt.

Was ist danach passiert?

Ich bin direkt in Quarantäne gelandet, in so genannter Kohorten-Quarantäne. Das heißt die Leute werden stockwerkweise getrennt und jede Etage darf nur untereinander kommunizieren. Trotzdem stehen alle gemeinsam in einer Schlange, um Frühstück, Mittag- und Abendessen zu bekommen. Alle Menschen spazieren zusammen auf einem sehr engen Hof. Da ist tatsächlich sehr wenig Platz. Die Menschen blieben bis zu drei Wochen in Quarantäne, auch wenn sie zweimal negativ auf Corona getestet wurden. Gleichzeitig waren alle ständig in Kontakt. Es war also keine richtige Quarantäne.

Ein Beispiel dafür ist die Geldausgabe: Alle zwei Wochen müssen alle in einem riesigen Saal warten von ein bis vier Uhr. Es gibt Abstandsregeln, alle haben Masken auf, egal ob Schwangere oder Kinder. Alle werden in den gleichen Saal gesetzt zur gleichen Zeit und dann werden zehn Menschen aufgerufen und bekommen ihr Geld und gehen in das Wohngebäude zurück. Und so weiter. Wieder zehn Menschen. Wieso müssen alle zusammen in einem Saal sitzen, statt dass es irgendwie Zeiten für verschiedene Stockwerke und Etagen gibt, dass die Menschen nicht vier Stunden mit Maske da sitzen müssen?

Wie war die Zimmersituation?

Ein sehr großes Problem ist, dass du normalerweise keinen Schlüssel für dein Zimmer bekommst. Ich habe nachts immer einen Schrank vor die Tür geschoben, weil ich Angst hatte. Der war schwer. Das war zwar ein Gebäude, in dem Familien untergebracht waren, es gab aber auch in den Familien Männer, mit denen ich mich unsicher gefühlt habe. Ich hatte tatsächlich Angst, dass jemand kommt und musste jedes Mal den Schrank vor die Tür schieben.

In der Unterkunft waren unter den etwa 600 Menschen etwa zwanzig Männer, die ständig gesoffen und Drogen konsumiert haben. Einmal haben am Eingang Männer versucht, mich zu beleidigen, haben Scherze und Witze gemacht. Ich habe ihnen dann gesagt, sie sollen nach Hause in ihre Zimmer gehen und sich ausschlafen. Sie haben sich dann aufgeregt und versucht, mich anzufassen. Ich habe mich zur Wehr gesetzt und einem die Hand umgebogen. Der fühlte sich dann gekränkt, weil eine Frau ihm wehgetan hat. Ich und die Security-Mitarbeiter, die dabei waren, haben versucht, ihn und seine Freunde zu beruhigen. Aber es hat dann immer wieder aggressive Augenblicke gegeben und sie haben versucht mich zu beleidigen. Am Tag kann ich mich schon irgendwie beschützen, aber nachts, wenn man schläft und seine Tür nicht zumachen kann, das ist für Frauen ein ziemlich großes Problem.

Wie ist der Alltag für Kinder in der Unterkunft?

Dieser Ort ist für Kinder nicht geeignet. Es gibt Kinder, so zwölf, sechs, zwei Jahre und die haben keine Spielzeuge. Für das Quarantänegebäude gibt es keinen Spielplatz, den gibt es nur neben dem Familiengebäude. Während der Quarantäne von zwei, drei Wochen können die Kinder nicht einmal irgendetwas spielen oder sonst was. Die Erwachsenen haben in Quarantäne auch keine Bücher. Nichts. Also in Quarantäne hast du keine Möglichkeit, dich zu beschäftigen. Du kannst nur hin und her laufen. Das ist wie im Gefängnis, wie im Knast. Du läufst nur hin und her und die einzige Möglichkeit, die du hast, ist vielleicht, wenn du ein Handy hast, dann kannst du im Internet surfen oder etwas lesen. Das ist die einzige Möglichkeit.

Im Familiengebäude gibt es zwar ein Spielzimmer für Kinder. Das sind sechs Zimmer, die eigentlich dazu gedacht sind, dass die Kinder da Zeit verbringen können. Es gibt dort Kinderbücher, Kinderspielzeuge, alles liegt bereit, wunderbar. Das einzige Problem: Das Kinderspielzimmer ist ständig zu. Es wird nur geöffnet, wenn Leute von außen kommen und dann wird gezeigt: Wir haben hier ein wunderbares Spielzimmer, es ist sauber, hier gibt es Spielzeuge. Während der zwei Monate, die ich in der Erstaufnahmeeinrichtung verbracht habe, war einmal eine Sozialarbeitern eine Woche lang zwei Stunden pro Tag da und das Zimmer war so lange geöffnet. Aber die ganz andere Zeit sind die Kinder nicht beschäftigt. Manche Kinder sind sieben Monate da. Die dürfen nicht zur Schule, dürfen nicht zum Kindergarten, nichts. Da wird auf jedes Kinderrecht gespuckt.

Im Quarantänegebäude gab es zwei Fußbälle für alle Kinder, die dort lebten. Keinerlei anderes Spielzeug. Als ich in eine andere Unterkunft transferiert wurde, habe ich Spielzeuge gesammelt und mich sehr gefreut, sie den Kindern zu schicken. Ich dachte, damit kann ich diese Scheißsituation zumindest an einem Punkt verbessern. Wegen der Corona-Verordnungen durfte ich nicht selbst in die Unterkunft, um die Spielzeuge zu verteilen. Die Spielzeuge wurden deshalb den Sozialarbeitern übergeben. Ich wollte, dass sie sie an die Kinder ausgeben. Den Sozialarbeitern wurde mitgeteilt, dass sie sie nicht einfach nur in das Kinderzimmer legen sollen, es sollten Geschenke sein, die direkt an die Kinder gehen. Es waren vier Säcke mit Spielzeugen. Das heißt, jedes Kind konnte mindestens ein Spielzeug bekommen. Die Spielzeuge stehen jetzt immer noch in einem so genannten Verteilungsraum. Es wurde gesagt: ‚Wir haben zu wenig Mitarbeiter. Wir haben nur einen Mitarbeiter, der diese Sachen sortieren kann.‘

Das Essen ist auch ein Problem: Bis sie eineinhalb oder zwei Jahre alt sind, bekommen Kinder das gleiche, was deutsche Kinder auch essen. Ab zwei Jahren müssen sie dann das Essen für Erwachsene essen. Das ist oft scharf und übersalzen. Ich habe oft gesehen, dass Kinder einfach nur beim Essen saßen und weinten. Selbst für mich war das Essen sehr scharf. Bei denjenigen, die aus Ländern kommen, wo scharfes Essen normal, kann ich mir vorstellen, dass die Männer so etwas essen. Aber für Kinder war das tatsächlich ziemlich schlimm.

Briefe & Berichte aus dem Erstaufnahmelager in Suhl III

Viele Menschen sind zum Nichtstun gezwungen. Die Deutschkurse sind ständig voll. Es gibt ja ein Paar Werkstätten, aber da passen maximal 10-20 Leute rein. Und Computerkurs – mit 2 Laptops. Und was ist mit den anderen 580 Menschen? Mein Vorschlag für ein Bücherregal wurde abgelehnt, da es im Flur nicht stehen darf und kein extra Zimmer dafür gibt.”

Im August und September 2020 lebte Albina als Insassin im Erstaufnahmelager Suhl und hatte begonnen, ihre Erfahrungen und Eindrücke in einem Blog festzuhalten: Albinas Blog. Bis zu ihrer Verteilung aus dem Lager und bis heute versucht sie, sich für die Verbesserung der Lebensumstände im Lager einzusetzen. Mit Beschwerden, Briefen und einer Petition zur Verbesserung der Essensversorgung insbesondere für die kleinsten Bewohner*innen ab zwei Jahren.

In ihrem Suhl-Memorandum fasst Albina in 30 Punkten ihre Erfahrungen und Forderungen zusammen und klagt die bis heute andauernden Missstände an.

Warum dieses Memorandum?

Ich finde, dass aus meiner Sicht viele Punkte in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Suhl dringend geändert werden müssen. Es gibt ein Sprichwort im Deutschen, das ich bei meinem Studium der deutschen Sprache kennengelernt habe: Viele Köche verderben den Brei. Ob nun dafür das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Stadt Suhl oder das Land Thüringen zuständig ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich wünsche mir, dass die richtigen Stellen davon erfahren und sich angesprochen fühlen, um für die in der EAE Suhl lebenden Insass*innen etwas zum Positiven zu verändern. Ich wünsche mir, dass meine deutschen Freund*innen mir vielleicht helfen können, die Probleme bekannt zu machen, damit etwas geschieht.

In den folgenden Punkten habe ich versucht, Probleme darzustellen, die verändert werden müssen:

  1. Kinder bekommen meistens kein kindgerechtes Essen. Nur bis zum Alter von 1,5- 2 Jahre ist “Kinderessen” vorgesehen. Die 2-jährigen Kinder essen dann dasselbe, was Erwachsene hier essen müssen (und das ist oft sehr scharf). An der Reaktion der Kinder kann man sehr leicht sehen, dass ihnen das weder schmeckt noch gefällt. Sie essen dann davon einfach nichts. Nährstoffe Kalorien und Mineralien-Vitamine fehlen dann für das Wachstum.
  2. Die Kinder in Quarantäne haben keine Spielzeug (außer 1-2 Fußbälle für alle, und nachdem ich 3 Wochen lang genervt habe – wurden auch ein Paar Dreiräder zum Ausleihen gestellt). In dem Quarantäne Gebäude, was schon seit 5-6 Monaten existiert und für die Absonderung von Menschen unter quarantäneähnlichen Bedingungen benutzt wird, gibt es weder Spielgerät und schon gar keine Kinderbücher.
  3. Das Kinderzimmer im Familiengebäude ist ständig zu. Es gibt keinerlei sinnvolle Beschäftigungen für Kinder. Viele Kinder bleiben ständig alleine und versuchen, sich selbst zu beschäftigen.
  4. Die Quarantäne dauert oft 3 Wochen statt vorgeschriebenen 2. Auch nach negativen Testergebnissen auf Corona! Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, denen es so geht oder die das schon hinter sich haben und die sogar 2 negative Testergebnisse hatten und trotzdem weiter in Quarantäne bleiben mussten.
  5. Menschen mit chronischen Krankheiten und Menschen, die besondere Bedarfe haben (z.b. bei Magenerkrankung, Diabetes usw.) bekommen das gleiche Essen wie alle. Z.b. eine Frau hier in der EAE hat Diabetes, und ihr Mann ist gezwungen für sie Essen in Geschäften zu klauen, weil das, was in der Kantine gegeben wird, soll man bei Diabetes meiden. Oder ein Mann der Magenerkrankung hatte, und der auch oft beim Arzt hier deswegen war – hat auch dasselbe Essen bekommen bis es ihm ganz schlecht ging, dass er gar nichts essen konnte.
  6. Asylbewerber zweiter Klasse? Die Menschen mit Behinderungen bleiben in Erstaufnahmeeinrichtung am längsten – 7-9 Monaten und länger, begründet wird es dadurch, dass es kompliziert sei, eine passende Wohnung für sie zu finden.
  7. Die Invaliden haben oft kein geeignetes Bett (was automatisch hoch und runter geht, und Handgriffe haben würde).
  8. Die Invaliden, die therapeutische Hilfe brauchen, bekommen die nicht, dadurch wird ihr Zustand schlimmer.
  9. Auch die Gegenstände, die ein körperbehinderter Mensch braucht, wie Gehhilfe (Gehbock) bekommen sie nur versprochen.
  10. Die Sozialarbeiter (die als Dolmetscher auch tätig sind) verweigern manchmal zu dolmetschen (mit Begründung, dass es sowieso nicht hilft)
  11. Die Notärzte weigern sich von Zeit zu Zeit auf Territorium von Erstaufnahmeeinrichtung zu fahren, mit Begründung, dass sie Angst haben (vor Asylanten, vor Corona, etc.)
  12. Das Essen in der Kantine ist sehr oft auch für einen gesunden erwachsenen Mensch zu scharf.
  13. In vielen Zimmer gibt es 4 Eisenbetten (also für 4 Menschen gedacht), und nur 2 Blechschränke, und oft keinen einzigen Tisch oder Stuhl.
  14. Die Wäsche bekommt man immer feucht (Bügelnass). Selber darf man nicht waschen oder den Trockner benutzen.
  15. Es gibt nur 1 Set Bettwäsche, sodass man nicht schlafen gehen kann, bis die feuchte Bettwäsche trocken wird. Dasselbe mit nassen Sachen.
  16. Es gibt nur 2-3 Besen und andere Sachen zum Aufräumen, die man bei Sozial ausleihen können soll.
  17. Man hat kein Schlüssel fürs Zimmer. Das heißt, in der Nacht kann ein besoffener Mann in Zimmer zu einer Frau z.B. reingehen.
  18. Es gibt auch kein Schlüssel für den Schrank. Das heißt, in meiner Abwesenheit  kann jeder rein und meine Wertgegenstände sind auf einmal weg. Außerdem sind Belegungen der Zimmer mit neu ankommenden Personen auch in Abwesenheit von Menschen möglich. Aber keiner übernimmt dabei Haftung bei Verlust von privaten Eigentum.
  19. Medizinisches Personal weigert sich die Resultate von medizinischen Untersuchungen auszuhändigen. Ich habe meinen Resultat ab 18.08.2020 erst am 08.09.2020 erhalten, nachdem ich zwei Tage hören musste, dass “eigentlich bekommt keiner die Ergebnisse von Test, die brauchst Du sowieso nicht”.
  20. Die Notärzte weigern sich häufig das Lagergelände zu besuchen, mit dem Argument, sie hätten Angst vor Leuten hier. Und wenn jemand Hilfe braucht, da muss man diesen Mensch rausbringen (so was passierte mit einem Behinderten, der ohnmächtig wurde, und die Ärzte weigerten sich zu ihm zu gehen, man sollte diesen Mensch mit dem Rollstuhl rausbringen.)
  21. Für Menschen in Quarantäne ist Arztbesuch (z.B. Zahnarzt) – etwas Unmögliches. Mir wurde andauernd gegen meine rasenden Zahnschmerzen die Hilfe verweigert, mich zu einem Zahnarzt zu lassen und zum Schluss wurde das sogar auf Corona geschoben.
  22. Die hochschwangeren werden auch in Quarantäne gesteckt (vor kurzem ist da eine Schwangerschaft mit Totgeburt beendet).
  23. Es gab einen Fall, bei dem eine schwangere Frau (im neunten Schwangerschaftsmonat) in Quarantäne musste und im 5. Stock untergebracht war. Mindestens 3 Mal pro Tag musste sie runter und hoch (zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen, als auch für medizinischen Check)
  24. Schwangere Frauen bekommen auch dieselbe Menge Essen, wie alle andere (Obwohl das eigentlich schon 2 Menschen sind).
  25. Als es einen Verdacht auf Läuse gab, weil eine Familie mit einem Kind gekommen ist, das einen Läusebefall hatte, wurden alle Bewohner durch Sozialarbeiter durchsucht. Alle wurden mit denselben Handschuhen geprüft. Auf die Fragen, ob es normal sein soll, haben die Sozialarbeiter gesagt, dass sie nicht genügend Geld haben, um für jeden Mensch neue Handschuhen zu benutzen, und die Krankenschwester meinten, dass es Übertragung auf solche Weise unmöglich sei. Außerdem durfte keiner das Gebäude verlassen, bevor man nicht geprüft wurde.
  26. Lange Schlange bei Geldausgabe. Um 50 Euro Taschengeld zu bekommen sitzt man bis 3 Stunden in einem mit Menschen überfüllten Saal, dabei unbedingt mit Mundschutz (auch schwangere Frauen und Frauen mit Kinder).
  27. Noch schlimmeres kann man bei Essensausgabe beobachten. Insgesamt wohnen zurzeit in 3 Gebäuden der EAE rund 600 Menschen. Davon die meisten im Single-Haus und Familien-Gebäude und andere sind in Quarantäne. Also rund 350-400 Menschen inklusive Kinder kommen zur gleiche Zeit und warten auf Essensausgabe – oft passieren Gewaltausbrüche, Männer prügeln sich, Alarm wird ausgelöst.
  28. Dieselbe Situation ist mit Ausgabe von Hygienemitteln. Die Ausgabe von Hygienemitteln findet 1 Mal pro Woche statt. 1 Stunde. Die Leute kommen schon vor 20-30 Minuten und stehen im Flur vor dem Zimmer von Sozialarbeiter.
  29. Die Toiletten sind im schrecklichen Zustand. Nämlich kaputt, und um zu spülen muss man die Hand in den Spülkasten stecken.
  30. Viele Menschen sind zum Nichtstun gezwungen. Die Deutschkurse sind ständig voll. Es gibt ja ein paar Werkstätten, aber da passen maximal 10-20 Leute rein. Und Computerkurs – mit 2 Laptops. Und was ist mit den anderen 580 Menschen? Mein Vorschlag für ein Bücherregal wurde abgelehnt, da es im Flur nicht stehen darf und kein extra Zimmer dafür gibt.

Briefe & Berichte aus dem Erstaufnahmelager in Suhl II

“Als keine Besserung eintrat und wir zur Lagerambulanz gingen und den Arzt aufsuchten, hat er uns mit einer sehr groben und unhöflichen Art aus der Ambulanz verwiesen. Er hat uns nicht mal angehört. Jeden Tag wird die Situation meiner Tochter schlimmer.”

Lager-Watch Thüringen liegen Briefe und Beschwerden von Bewohner*innen des Erstaufnahmelagers Suhl vor. Der folgende Brief wurde Ende September verfasst. Wir haben ihn übersetzt, anonymisiert und seine Veröffentlichung abgestimmt. Aktuell befindet sich die Familie noch immer im Erstaufnahmelager in Suhl und wartet bisher vergebens auf die Möglichkeit, dass Lager verlassen und sich um die medizinische Anbindung und Versorgung ihrer Kinder kümmern zu können. Immer wieder wird die Familie vertröstet: fachmedizinische Behandlung sei erst nach einem Transfer aus Suhl möglich. Zugleich gehört die Familie ebenfalls zu einer der unmittelbar von der Gewalt durch die Security betroffenen Familien, denen eine schnelle Verteilung versprochen wurde. Das ist bisher noch immer nicht passiert und die in Suhl verbliebenen Familien bleiben nach ihren traumatischen Erfahrungen weiterhin gezwungen, unter den aktuellen Bedingungen insbesondere der Versagung fachmedizinischer Behandlung ausharren zu müssen. Gemeinsam mit den betroffenen Familien bestärken wir erneut unsere Forderungen und fordern von den zuständigen Verantwortungsträger*innen,  die unverzügliche Verteilung auf eine Stadt, die in der Lage ist, für die fachmedizinische und psychosoziale Betreuung Sorge zu tragen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, um die anhaltende Isolation zu durchbrechen.

 

Brief eines Familienvaters zur Situation der medizinischen Gesundheitsversorgung im Erstaufnahmelager Suhl

Sehr geehrte Leser und Leserinnen, seien Sie gegrüßt,

ich bin ein Flüchtling aus Afghanistan und bin mit meiner Familie von Griechenland hierhin nach Deutschland transferiert worden. Meine Familie besteht aus meiner Frau und meinen drei Kindern. Die Überführung fand im Rahmen des Aufnahmeprogramms für besonders vulnerable Personen statt.

Aufgrund der folgenden Krankheiten zählten wir zu der Gruppe der besonders gefährdeten Personen:

  • Ich selbst leide an einer Herzkrankheit und hatte bereits einen leichten Herzinfarkt in Griechenland. Zudem sind bei mir Nierensteine festgestellt worden.
  • Mein ältester Sohn leidet an Depressionen.
  • Die schwerste und für uns als Familienmitglieder sehr belastende Krankheit ist die unserer Tochter. Sie leidet an schwerer Schuppenflechte (der Schmetterlingskrankheit). Seit 9 Jahren leidet sie unter diese Krankheit. Bisher hat sie verschiedenste Medikamente nehmen müssen. Keiner von diesen hat jedoch eine positive Reaktion bei ihr gezeigt.

Als sie uns alle von Griechenland hierhin verlegen wollten, hat man uns gesagt, dass sofort nach der Aufnahme in Deutschland die medizinische Behandlung begonnen werde. Aber bis heute  ist keine medizinische Hilfeleistung erfolgt. Wir haben mehrmals beim Lagerarzt vorgesprochen. Die einzige Antwort, die er uns bisher gegeben hat, ist, dass wenn auch schlimmer werden sollte, es nicht so schlimm sei. Wir sollen bis nach dem Transfer warten und weitersehen.

Einmal setzte er meiner Tochter Anfang der Woche eine Spritze. Falls es ihr bis zum Ende der Woche nicht besser gehen sollte, werde sie in ein Krankenhaus verlegt. Als keine Besserung eintrat und wir zur Lagerambulanz gingen und den Arzt aufsuchten, hat er uns mit einer sehr groben und unhöflichen Art aus der Ambulanz verwiesen. Er hat uns nicht mal angehört. Jeden Tag wird die Situation meiner Tochter schlimmer.  Wir haben Angst, dass bald ihr ganzer Körper betroffen sein wird und dass es irgendwann zu spät für eine passende Behandlung wäre. Wir haben Angst, dass sie sich für die Gesundung monatelang in einem Krankenhaus aufhalten müsste. Es ist zu erwähnen, dass meine Tochter sich sowohl in Afghanistan als auch in Griechenland monatelang in Krankenhäusern aufgehalten hat. Obwohl zurzeit nur einige Teile ihres Körpers betroffen sind, befindet sie sich in der Isolation. Die anderen Kinder haben Angst mit ihr zu spielen. Diese Situation ist also nicht nur für ihren Körper schlimm, sondern auch für ihren seelischen Zustand. Ich bitte Sie verzweifelt um Unterstützung für die Gesundheit meiner Tochter und um den Beginn einer medizinischen Behandlung. Meine Tochter müsste in ihrem Alter nun spielen und Freude haben, stattdessen leidet sie sowohl physisch als auch psychisch.

Seitdem wir in Suhl angekommen sind, haben wir keine Hilfe erhalten. Einige der Mitarbeiter haben ein sehr schlechtes Verhalten uns gegenüber gehabt. Ab und zu waren wir beim Sozialarbeiter. Er hat uns gefragt, ob wir ein Hotel erwarten würden. Manchmal sagte er sarkastisch: „Willkommen in Deutschland!“ oder warum wir denn hierhin gekommen seien.

Wir bitten Sie verzweifelt um Hilfe und Unterstützung, damit unsere Stimmen die Verantwortlichen erreichen. Wir sind überzeugt, dass keiner über die Probleme hier Bescheid weiß.  

In dem Land, das immer ein Sponsor der Flüchtlingsrechte war, und immer die Frauen- und Kinderrechte unterstützt hat, haben wir bis heute keine Unterstützung gesehen. Manchmal sind die Ärzte und Sozialarbeiter bereit, die Wände und Mauern anzuschauen. Sie vermeiden es aber mit uns zu sprechen oder uns anzuschauen. Welche Schuld haben wir uns denn aufgeladen als wir flüchteten? Wir brauchen Hilfe. Danke.

Briefe & Berichte aus dem Erstaufnahmelager in Suhl I

“Nach einigen Tagen gingen wir wieder zum selben Arzt, und ich sagte ihm, dass meine Frau sagt, dass sich das Kind nicht mehr in Ihrem Bauch bewegt, und ich bat den Arzt erneut, meine Frau ins Krankenhaus zu schicken, sie antworteten erneut dasselbe und sagten, dass sie keine Probleme habe und wir sie nicht ins Krankenhaus schicken könnten”

Lager-Watch Thüringen liegen aktuell Briefe und Beschwerden von Bewohner*innen des Erstaufnahmelagers Suhl vor. Der folgende Brief wurde Mitte September verfasst. Wir haben ihn übersetzt, anonymisiert und seine Veröffentlichung abgestimmt. Der Brief beschreibt den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung der Lagerärzte und zeigt auf, warum eine Mutter ihr Kind nur noch tot zur Welt bringen konnte. Das Kind hieß Saam. Im Zusammenhang mit den im Brief beschriebenen Vorwürfen hatte die Familie und Mutter am 29.09.2020 Strafanzeige gegen den medizinischen Dienst im Erstaufnahmelager Suhl gestellt und war noch am selben Tag unmittelbar von der Gewalt durch die Security betroffen – wie der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. in seiner Pressemitteilung am 01.10.2020 öffentlich machte. Gemeinsam mit den Betroffenen erheben wir weiterhin schwere Vorwürfe. Wir fordern Gerechtigkeit und ein Ende des anhaltenden Status Quo unterlassener Hilfeleistung in dem Erstaufnahmelager Suhl. Der eindringlichste Wunsch der betroffenen Mutter war und ist, dass das was ihr passiert ist, keiner anderen Frau in dem Erstaufnahmelager Suhl je wieder passieren soll.

Brief des Familienvaters zur Situation seiner Frau und Familie nach dem Ankommen im Erstaufnahmelager Suhl

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich wurde mit meiner Frau und meinen zwei Kindern, aufgrund unserer Situation als besonders vulnerable Familie von der Bundesregierung aus Griechenland nach Deutschland eingeladen. Die Anerkennung unserer Situation als besonders Schutzbedürftige basierte auf den Krankheiten unserer minderjährigen Kinder, meiner schwangeren Frau und meiner eigenen Krankheit.
Zusammen mit drei anderen gefährdeten Familien mit kranken Kindern kamen wir im August in Suhl an und wurden im Lager aufgenommen. Der Verlauf der Schwangerschaft meiner Frau bis zu ihrem siebten Monat, bevor der Flug angetreten wurde, ist als gesund bestätigt worden. Kurz nach unserer Ankunft besuchten wir aufgrund extremer Schwellungen der Füße meiner Frau und starker Schmerzen auf ihrer linken Körperseite im Bereich der Schulter, des Arms, Hals/Nacken und des Kopfes, einen Arzt. Der Arzt erkannte diesen Zustand nicht als ernstes Problem an und unterzog meine Frau nur einem Urintest, dessen Ergebnisse uns bis heute nicht vorliegen. Ich bat den Arzt, meine Frau ins Krankenhaus zu schicken. Seine Antwort war, dass dies nicht nötig sei und sie keine ernsthaften Probleme habe. Seine Assistentin wiederholte dasselbe und sagte, dass meine Frau nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden könne. Nach einigen Tagen gingen wir wieder zum selben Arzt, und ich sagte ihm, dass meine Frau sagt, dass sich das Kind nicht mehr in Ihrem Bauch bewegt, und ich bat den Arzt erneut, meine Frau ins Krankenhaus zu schicken, sie antworteten erneut dasselbe und sagten, dass sie keine Probleme habe und wir sie nicht ins Krankenhaus schicken könnten. Daraufhin wurde ich wütend und laut. Darauf bat der Arzt meine Frau, sich auf einen Stuhl zu setzen, damit er Ihren Blutdruck messen könne. Ihr Blutdruck war viel zu hoch. Wir fuhren dann mit einem Taxi zum Krankenhaus, wo sie einer Sonographie-Untersuchung unterzogen wurde und uns gesagt wurde, dass unser Kind tot sei.

Während des dreitägigen Krankenhausaufenthalts wurde meiner Frau das tote Kind aus ihrem Bauch entnommen. Erwähnenswert ist, dass meine Frau zu der Zeit, als sie im Lager war und Schmerzen im linken Teil ihres Körpers hatte, auch anmerkte mit dem linken Auge nicht klar sehen zu können. Nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus verschlechterte sich ihr Sehvermögen auf dem linken Auge so stark, dass sie ihre Umgebung nur noch dunkel und neblig wahrnehmen konnte. Wir berichteten dem Lagerarzt davon, jedoch zeigte dieser tagelang keine Reaktion. Erneut gingen meine Frau und ich zum Arzt und berichteten ihm, dass meine Frau Probleme mit ihrem linken Auge habe, und erneut antwortete der Arzt, wir sollen weiter abwarten und schenkte uns weiter keine Beachtung. Wir sind letzte Woche zum Arzt und berichteten ihm von der Verschlechterung des Sehvermögens auf dem linken Auge.  Wir baten den Arzt, sie ins Krankenhaus zu schicken und sind dann selbst ins Krankenhaus gegangen. Ihr Auge wurde untersucht und geröntgt. Man sagte uns, dass ihr Auge schwer geschädigt sei und dass sie im Krankenhaus stationär aufgenommen werden müsse. Sie ist nach 8 Tagen immer noch im Krankenhaus und nicht geheilt. Der Arzt sagte uns, dass die Schäden dauerhaft sein könnten und durch den hohen Blutdruck verursacht worden seien, den der Arzt ignoriert und vernachlässigt hatte. Darüber hinaus habe ich selber Diabetes, und auch mein Gesundheitszustand wird in diesem Lager vernachlässigt. Mein Diabetes erreicht manchmal den Wert 500. Mir wird gesagt, dass so lange wir in diesem Lager sind, können wir keine medizinische Versorgung erwarten.
Deswegen schreibe ich diesen Brief an die zuständigen deutschen Regierungsstellen, um einer Mutter, die ihr Kind verloren hat, Verständnis und Unterstützung zu geben. Ich bitte Sie verzweifelt, meiner Familie und den Familien, die in dieses Lager verlegt wurden, gleichermaßen zu helfen, eine gerechte und humanitäre Unterstützung zu erhalten, die wir brauchen, damit wir nicht länger diese menschenunwürdige Situation durchmachen müssen. Bitte verschaffen Sie meiner Stimme und der Stimme der anderen gefährdeten Familien in höheren Instanzen wie bei Frau Angela Merkel Gehör, dass wir durch die Nachlässigkeit der Ärzte im Lager unser Kind und meine Frau die Sehkraft ihres linken Auges verloren hat. Wir sind durch die Vorfälle schwer getroffen und möchten Sie um mehr Gerechtigkeit und Unterstützung bitten. Ich möchte darauf hinweisen, dass meine Familie und ich seit 20 Tagen in Deutschland sind und von dieser Zeit meine Frau zehn Tage im Krankenhaus verbracht hat und noch immer dort behandelt wird.

Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass auch meine 14-jährige Tochter, die Krampfanfälle hatte, bis sie acht Jahre alt war, und der in Griechenland die Gallenblase entfernt wurde, medizinische Behandlung und eine gesunde Ernährung benötigt. Auch andere Familien leiden und stehen vor großen Herausforderungen, da die medizinische Versorgung ihrer kranken Kinder nur unzureichend auf die Bedürfnisse ihrer Kinder ausgerichtet ist. Abschließend muss ich erwähnen, dass unter den gefährdeten Familien zum zweiten Mal ein Baby durch die Fahrlässigkeit der Ärzte totgeboren wurde. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Hilfe.

Herzlichen Dank

Mangelhafte medizinische Versorgung mit teilweise fatalen Folgen für körperliche und seelische Gesundheit

In den letzten Tagen erreichten das MediNetz Jena e.V. Nachrichten über
die erneuten Notstände im Erstaufnahmelager Suhl. In Bezug auf die vorangegangene Pressemitteilung des Flüchtlingsrates Thüringen e.V. vom 01.10.2020 veröffentlicht das MediNetz eine eigene Pressemitteilung und Stellungnahme zur medizinischen Versorgung im Erstaufnahmelager Suhl.

PRESSEMITTEILUNG des MediNetz Jena e.V. vom 07.10.2020

Vermehrt kommt es in der Unterbringung zu nicht korrekten bis hin zu
mangelhaften medizinischen Versorgungen der Bewohner:innen mit teilweise
fatalen Folgen für deren körperliche und seelische Gesundheit.
Beispielsweise wurden einfach objektivierbare Symptome von dort Lebenden
nicht als solche anerkannt und nicht untersucht, sondern als Täuschung
gewertet, welche nur das Ziel verfolge, schneller das Lager verlassen zu
können. Diese Denkweise, welche in einem medizinischen Handlungskontext
die Neutralität bezüglich politischer Meinungen nicht einhält, ist zum
einen zutiefst rassistisch und stellt dazukommend eine Unterlassung
ärztlicher Hilfeleistung dar. In mindestens einem Fall führte diese
unterlassene ärztliche Hilfeleistung zum Tod.

– Zu unterlassener Hilfeleistung zählt, wenn Hilfesuchende nicht
angesehen und beschriebene Symptome nicht objektiviert werden z.B. durch
eine körperliche Untersuchung oder Messung der Vitalparameter

– Zu unterlassener Hilfeleistung zählt, wenn den Patient:innen
Untersuchungsergebnisse vorenthalten werden.

– Zu unterlassener Hilfeleistung zählt, wenn sich trotz klinisch
eindeutiger gefährdender Zeichen sich nicht um eine Anschlussbehandlung,
Überweisung oder adäquate Sprachmittlung gekümmert wird.

Das eben beschriebene entspricht direkten Schilderungen von Menschen,
die in Suhl untergebracht und auf medizinische Hilfe vor Ort angewiesen
sind. Zusammenfassend ist kein Wille durch das dort agierende
medizinische Personal zu erkennen, die Menschen medizinisch adäquat zu
behandeln. Dies ist fahrlässig, verantwortungslos und falsch.

Medizinische Gesundheitsversorgung stellt nicht nur ein Grundbedürfnis
eines jeden Menschen dar, sondern auch ein Grundrecht. Dies ist im
Artikel 25 der Charta der allgemeinen Menschenrechte niedergeschrieben.
Die eben beschriebenen Geschehnisse zeigen die eindeutige Verletzung
dieses Rechtes durch die BRD und den Freistaat Thüringen, vermittelt
durch das medizinische Personal der EAE Suhl.

Die Menschen in den Sammelunterkünften sind nicht krankenversichert.
Somit werden nur akute Erkrankungen und Notfälle vom Sozialamt
finanziert. Der Leistungskatalog ist im Asylbewerberleistungsgesetz
(AsylbLG) festgelegt, jedoch werden zum Beispiel psychische Erkrankungen
oder akute psychische Traumata als nicht akut behandlungsbedürftig
definiert. Dies ist nicht nur empathielos, sondern auch medizinisch
falsch. Die oben beschriebenen Situationen lassen nur vermuten, welchen
Leidensdruck Asylbewerber:innen haben und wie diese durch das staatliche
Handeln – in diesem Falle Nicht-Handeln bzw. Unterlassen – potenziert
werden. Indem das Sicherheitspersonal, wie in der Stellungnahme des
Flüchtlingsrates Thüringen e.V. beschrieben, sowohl körperliche als auch
psychische Gewalt gegenüber den Bewohner:innen anwendet, wird die
sowieso schon durch strutkurellen Rassismus bestehende medizinische
Unterversorgung noch bewusst potentiert und weitere Gefährdungen
verursacht. Dadurch können Retraumatisierungen oder neu verursachte
Traumata mit erheblichen langfristigen Folgen auftreten. Im schlimmsten
Fall kann dies zu selbstverletzendem Handeln führen. Auch psychische
Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht!

Die aktuell herrschenden Zustände sind unzumutbar. Wir fordern aus
aktuellen Anlässen

1. kompetentes medizinisches (pflegerisches und ärztliches) Personal vor
Ort, sowie neutrale Sozialarbeiter:innen

2. eine auch in Notfällen erreichbare Sprachmittlung

3. unvoreingenommenes, auf rechtsradikale Absichten und Rassismus
überprüftes Sicherheitspersonal

Unsere Forderungen – die Umsetzung der Menschenrechte – sollten eine
Selbstverständlichkeit darstellen! Die Tatsache, dass eine Einhaltung
medizinischer Mindeststandards nicht gegeben ist, ist zutiefst beschämend.

Beispiele für gelungene Umsetzungen gibt es genug. Am Jenaer Uniklinikum
können über das Internet Dolmetscher angefordert werden, die durch
Telematik innerhalb weniger Minuten verfügbar sind. Im gesamten Land
Thüringen können nicht krankenversicherte Personen medizinische
Versorgung durch eine Finanzierungsgarantie beim “Anonymen Krankenschein
Thüringen” (AKSt) beantragen und somit je nach medizinischem
Handlungsbedarf einen Arzt aufsuchen. Es stellt sich die Frage, warum
der AKST nicht mit der Versorgung der Erstaufnahmeeinrichtung beauftragt
und mit entsprechenden Mitteln ausgestattet wird. Erfahrungen in der
Versorgung Nichtversicherter liegen seit 2017 vor.

*Wir appellieren an die Politik und fordern sofortiges Handeln!*

Grußbotschaft aus dem Erstaufnahmelager Suhl an die Seebrücke-Demo am 03.10.2020 in Jena

Auf der Seebrücke-Demo am 3.10.2020 in Jena haben von Gewalt betroffene Familien aus Suhl die Vorkommnisse von Dienstagnacht (29.9.2020), ihre aktuelle Situation in Suhl und ihre Wünsche und Forderungen öffentlich gemacht:

Hello to all of you kind people,

due to our children’s illnesses, we were transferred from Greece to Germany and then to Camp Suhl in a completely legal way.

On behalf of the vulnerable and sick migrants living in Camp Suhl I thank all of you.

There have been many cases of oppression and violence against us in this Camp. Some time ago, due to the negligence of the doctor of the camp, a mother lost her unborn child two months before his birth, and the mother of this child spends every day crying.

A few nights ago, the security of this camp attacked our room and beat my wife and me. In this bad Incident, my wife was severely injured both physically and mentally.

My little children are in a state of shock and fear.

Two other families who came mediate were beaten.

Meanwhile, a little girl suffering from a severe skin condition called psoriasis suffered a nervous attack, after which her father and my wife were taken to the hospital due to severe beatings.

In this camp, the doctor does not pay any attention to the patients and treats everyone with hostility.

The health situation here is very bad and the food quality is worse than that. Our children often go to bed hungry and many children are malnourished and also our children in this camp are depressed.

There is no translator for us in any language here and sometimes they do not even allow us to speak English and say that „in our country you only have to speak German“.

We ask you, dear people, to be our voice so that justice can be done to us.
We want a change in the medical system and the food system of this camp. I must also say that we do not have security in this camp. We want to be transferred from this camp to start treating our illnesses and our children. We want to start a peaceful life and be a useful person for this country where we have taken refuge because we are human beings and God has given us the right to life which was denied to us in our country.

Our message to you: Take refugees in, we ask for your help.

Thank you for being our cry.

Erschütternde Vorgänge in der Erstaufnahmeeinrichtung Suhl

Die folgende Pressemitteilung des Flüchtlingsrats Thüringen war Anlass für die Gründung des Netzwerks Lager-Watch Thüringen:

Am Abend des 29.9.2020 gab es nach Informationen des Flüchtlingsrat Thüringen e.V. in der Thüringer Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl eine Gewalteskalation durch den Sicherheitsdienst gegen Bewohner*innen. Bilder und Schilderungen zeigen insbesondere die massive Anwendung von Gewalt, auch gegen Frauen und in Anwesenheit von Kindern.

Berichten zufolge sollen sich nach einer vermeintlichen Ruhestörung durch Kinder drei Angestellte des Sicherheitsdienstes gewaltsam Zugang zu dem Zimmer der betroffenen Familie verschafft haben. Die anwesende Frau und Mutter filmte das Geschehen mit ihrem Handy. Ihr soll daraufhin unter Gewalt das Handy entrissen worden sein. Die Berichte schildern, sie sei im Beisein ihrer schreienden Kinder geschlagen, auf den Boden gedrückt und an den Haaren gezogen worden. Daraufhin sei die Gewalt auch gegen weitere anwesende Familien eskaliert, die der Frau zur Hilfe kommen wollten. Sowohl Polizei als auch Rettungsdienst seien danach im Einsatz gewesen.

Eine der von der Gewalt betroffenen Frauen hatte erst vor wenigen Wochen ihr Kind im 7. Monat der Schwangerschaft verloren. Die Bitten um medizinische und frauenärztliche Untersuchungen sollen tagelang auf taube Ohren gestoßen und ihre massiven Schwangerschaftsbeschwerden bagatellisiert worden sein, bis im Suhler Krankenhaus letztlich der Tod des ungeborenen Kindes festgestellt wurde. Die Frau hatte am 29.9.2020 Strafanzeige gegen den in der Einrichtung zuständigen medizinischen Dienst gestellt.

„Wir fordern die umfassende und lückenlose Aufklärung dieser erschütternden Vorgänge in der Erstaufnahmeeinrichtung Suhl und Konsequenzen für die entsprechenden Mitarbeiter*innen. Wir erwarten, dass Schutzsuchende in der Thüringer Erstaufnahmeeinrichtung einen würdevollen und sensiblen Umgang sowie die erforderliche uneingeschränkte medizinische Versorgung erfahren. Derartige Vorfälle darf es nie wieder geben!“ so Philipp Millius Vom Flüchtlingsrat Thüringen e.V.

„Die betroffenen Familien müssen unverzüglich aus der Erstaufnahmeeinrichtung entlassen und in Kommunen untergebracht werden, die die notwendige psychosoziale Unterstützung und medizinische Versorgung bestmöglich absichern können, um nach ihren dramatischen Erfahrungen in der Erstaufnahmeeinrichtung tatsächlich einen Ort des Ankommens und der Stabilisierung zu finden“, erklärt Helmut Krause, Menschenrechtsbeauftragter der Thüringer Landesärztekammer.

Der Flüchtlingsrat hatte bereits in der Vergangenheit auf verschiedenen Ebenen auf massive Missstände in der Erstaufnahmeeinrichtung hingewiesen, u.a. auf Berichte über regelmäßige Zutritte durch das Sicherheitspersonal in die Zimmer der Bewohner*innen, die grundrechtlich besorgniserregend sind.