“Viele Menschen sind zum Nichtstun gezwungen. Die Deutschkurse sind ständig voll. Es gibt ja ein Paar Werkstätten, aber da passen maximal 10-20 Leute rein. Und Computerkurs – mit 2 Laptops. Und was ist mit den anderen 580 Menschen? Mein Vorschlag für ein Bücherregal wurde abgelehnt, da es im Flur nicht stehen darf und kein extra Zimmer dafür gibt.”
Im August und September 2020 lebte Albina als Insassin im Erstaufnahmelager Suhl und hatte begonnen, ihre Erfahrungen und Eindrücke in einem Blog festzuhalten: Albinas Blog. Bis zu ihrer Verteilung aus dem Lager und bis heute versucht sie, sich für die Verbesserung der Lebensumstände im Lager einzusetzen. Mit Beschwerden, Briefen und einer Petition zur Verbesserung der Essensversorgung insbesondere für die kleinsten Bewohner*innen ab zwei Jahren.
In ihrem Suhl-Memorandum fasst Albina in 30 Punkten ihre Erfahrungen und Forderungen zusammen und klagt die bis heute andauernden Missstände an.
Warum dieses Memorandum?
Ich finde, dass aus meiner Sicht viele Punkte in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Suhl dringend geändert werden müssen. Es gibt ein Sprichwort im Deutschen, das ich bei meinem Studium der deutschen Sprache kennengelernt habe: Viele Köche verderben den Brei. Ob nun dafür das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Stadt Suhl oder das Land Thüringen zuständig ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich wünsche mir, dass die richtigen Stellen davon erfahren und sich angesprochen fühlen, um für die in der EAE Suhl lebenden Insass*innen etwas zum Positiven zu verändern. Ich wünsche mir, dass meine deutschen Freund*innen mir vielleicht helfen können, die Probleme bekannt zu machen, damit etwas geschieht.
In den folgenden Punkten habe ich versucht, Probleme darzustellen, die verändert werden müssen:
- Kinder bekommen meistens kein kindgerechtes Essen. Nur bis zum Alter von 1,5- 2 Jahre ist “Kinderessen” vorgesehen. Die 2-jährigen Kinder essen dann dasselbe, was Erwachsene hier essen müssen (und das ist oft sehr scharf). An der Reaktion der Kinder kann man sehr leicht sehen, dass ihnen das weder schmeckt noch gefällt. Sie essen dann davon einfach nichts. Nährstoffe Kalorien und Mineralien-Vitamine fehlen dann für das Wachstum.
- Die Kinder in Quarantäne haben keine Spielzeug (außer 1-2 Fußbälle für alle, und nachdem ich 3 Wochen lang genervt habe – wurden auch ein Paar Dreiräder zum Ausleihen gestellt). In dem Quarantäne Gebäude, was schon seit 5-6 Monaten existiert und für die Absonderung von Menschen unter quarantäneähnlichen Bedingungen benutzt wird, gibt es weder Spielgerät und schon gar keine Kinderbücher.
- Das Kinderzimmer im Familiengebäude ist ständig zu. Es gibt keinerlei sinnvolle Beschäftigungen für Kinder. Viele Kinder bleiben ständig alleine und versuchen, sich selbst zu beschäftigen.
- Die Quarantäne dauert oft 3 Wochen statt vorgeschriebenen 2. Auch nach negativen Testergebnissen auf Corona! Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, denen es so geht oder die das schon hinter sich haben und die sogar 2 negative Testergebnisse hatten und trotzdem weiter in Quarantäne bleiben mussten.
- Menschen mit chronischen Krankheiten und Menschen, die besondere Bedarfe haben (z.b. bei Magenerkrankung, Diabetes usw.) bekommen das gleiche Essen wie alle. Z.b. eine Frau hier in der EAE hat Diabetes, und ihr Mann ist gezwungen für sie Essen in Geschäften zu klauen, weil das, was in der Kantine gegeben wird, soll man bei Diabetes meiden. Oder ein Mann der Magenerkrankung hatte, und der auch oft beim Arzt hier deswegen war – hat auch dasselbe Essen bekommen bis es ihm ganz schlecht ging, dass er gar nichts essen konnte.
- Asylbewerber zweiter Klasse? Die Menschen mit Behinderungen bleiben in Erstaufnahmeeinrichtung am längsten – 7-9 Monaten und länger, begründet wird es dadurch, dass es kompliziert sei, eine passende Wohnung für sie zu finden.
- Die Invaliden haben oft kein geeignetes Bett (was automatisch hoch und runter geht, und Handgriffe haben würde).
- Die Invaliden, die therapeutische Hilfe brauchen, bekommen die nicht, dadurch wird ihr Zustand schlimmer.
- Auch die Gegenstände, die ein körperbehinderter Mensch braucht, wie Gehhilfe (Gehbock) bekommen sie nur versprochen.
- Die Sozialarbeiter (die als Dolmetscher auch tätig sind) verweigern manchmal zu dolmetschen (mit Begründung, dass es sowieso nicht hilft)
- Die Notärzte weigern sich von Zeit zu Zeit auf Territorium von Erstaufnahmeeinrichtung zu fahren, mit Begründung, dass sie Angst haben (vor Asylanten, vor Corona, etc.)
- Das Essen in der Kantine ist sehr oft auch für einen gesunden erwachsenen Mensch zu scharf.
- In vielen Zimmer gibt es 4 Eisenbetten (also für 4 Menschen gedacht), und nur 2 Blechschränke, und oft keinen einzigen Tisch oder Stuhl.
- Die Wäsche bekommt man immer feucht (Bügelnass). Selber darf man nicht waschen oder den Trockner benutzen.
- Es gibt nur 1 Set Bettwäsche, sodass man nicht schlafen gehen kann, bis die feuchte Bettwäsche trocken wird. Dasselbe mit nassen Sachen.
- Es gibt nur 2-3 Besen und andere Sachen zum Aufräumen, die man bei Sozial ausleihen können soll.
- Man hat kein Schlüssel fürs Zimmer. Das heißt, in der Nacht kann ein besoffener Mann in Zimmer zu einer Frau z.B. reingehen.
- Es gibt auch kein Schlüssel für den Schrank. Das heißt, in meiner Abwesenheit kann jeder rein und meine Wertgegenstände sind auf einmal weg. Außerdem sind Belegungen der Zimmer mit neu ankommenden Personen auch in Abwesenheit von Menschen möglich. Aber keiner übernimmt dabei Haftung bei Verlust von privaten Eigentum.
- Medizinisches Personal weigert sich die Resultate von medizinischen Untersuchungen auszuhändigen. Ich habe meinen Resultat ab 18.08.2020 erst am 08.09.2020 erhalten, nachdem ich zwei Tage hören musste, dass “eigentlich bekommt keiner die Ergebnisse von Test, die brauchst Du sowieso nicht”.
- Die Notärzte weigern sich häufig das Lagergelände zu besuchen, mit dem Argument, sie hätten Angst vor Leuten hier. Und wenn jemand Hilfe braucht, da muss man diesen Mensch rausbringen (so was passierte mit einem Behinderten, der ohnmächtig wurde, und die Ärzte weigerten sich zu ihm zu gehen, man sollte diesen Mensch mit dem Rollstuhl rausbringen.)
- Für Menschen in Quarantäne ist Arztbesuch (z.B. Zahnarzt) – etwas Unmögliches. Mir wurde andauernd gegen meine rasenden Zahnschmerzen die Hilfe verweigert, mich zu einem Zahnarzt zu lassen und zum Schluss wurde das sogar auf Corona geschoben.
- Die hochschwangeren werden auch in Quarantäne gesteckt (vor kurzem ist da eine Schwangerschaft mit Totgeburt beendet).
- Es gab einen Fall, bei dem eine schwangere Frau (im neunten Schwangerschaftsmonat) in Quarantäne musste und im 5. Stock untergebracht war. Mindestens 3 Mal pro Tag musste sie runter und hoch (zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen, als auch für medizinischen Check)
- Schwangere Frauen bekommen auch dieselbe Menge Essen, wie alle andere (Obwohl das eigentlich schon 2 Menschen sind).
- Als es einen Verdacht auf Läuse gab, weil eine Familie mit einem Kind gekommen ist, das einen Läusebefall hatte, wurden alle Bewohner durch Sozialarbeiter durchsucht. Alle wurden mit denselben Handschuhen geprüft. Auf die Fragen, ob es normal sein soll, haben die Sozialarbeiter gesagt, dass sie nicht genügend Geld haben, um für jeden Mensch neue Handschuhen zu benutzen, und die Krankenschwester meinten, dass es Übertragung auf solche Weise unmöglich sei. Außerdem durfte keiner das Gebäude verlassen, bevor man nicht geprüft wurde.
- Lange Schlange bei Geldausgabe. Um 50 Euro Taschengeld zu bekommen sitzt man bis 3 Stunden in einem mit Menschen überfüllten Saal, dabei unbedingt mit Mundschutz (auch schwangere Frauen und Frauen mit Kinder).
- Noch schlimmeres kann man bei Essensausgabe beobachten. Insgesamt wohnen zurzeit in 3 Gebäuden der EAE rund 600 Menschen. Davon die meisten im Single-Haus und Familien-Gebäude und andere sind in Quarantäne. Also rund 350-400 Menschen inklusive Kinder kommen zur gleiche Zeit und warten auf Essensausgabe – oft passieren Gewaltausbrüche, Männer prügeln sich, Alarm wird ausgelöst.
- Dieselbe Situation ist mit Ausgabe von Hygienemitteln. Die Ausgabe von Hygienemitteln findet 1 Mal pro Woche statt. 1 Stunde. Die Leute kommen schon vor 20-30 Minuten und stehen im Flur vor dem Zimmer von Sozialarbeiter.
- Die Toiletten sind im schrecklichen Zustand. Nämlich kaputt, und um zu spülen muss man die Hand in den Spülkasten stecken.
- Viele Menschen sind zum Nichtstun gezwungen. Die Deutschkurse sind ständig voll. Es gibt ja ein paar Werkstätten, aber da passen maximal 10-20 Leute rein. Und Computerkurs – mit 2 Laptops. Und was ist mit den anderen 580 Menschen? Mein Vorschlag für ein Bücherregal wurde abgelehnt, da es im Flur nicht stehen darf und kein extra Zimmer dafür gibt.